Albrecht Weinberg ist Ehrenbürger der Stadt Leer
Erst zum achten Mal in ihrer Geschichte hat die Stadt Leer am Mittwochabend die Ehrenbürgerwürde verliehen: Dem 98-jährigen Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg wurde diese Ehre vor zahlreichen geladenen Gästen im Festsaal des Rathauses zuteil. Aus der einstimmig Ende Juni getroffenen Entscheidung des Stadtrates zitierte der Ratsvorsitzende Hauke Sattler: Albrecht Weinberg habe sich seit seiner Rückkehr nach Deutschland 2012 unermüdlich für die Erinnerungsarbeit eingesetzt. Durch sein großes Engagement, insbesondere in der Arbeit mit jungen Menschen in den Schulen, habe er einen nachhaltigen Beitrag gegen das Vergessen geleistet. „Auch seine Initiative zur Verlegung der ersten Stolpersteine 2022 in Leer wird ein bleibendes Gedenken an die Leeraner Opfer des Nationalsozialismus bewahren“, sagte Sattler.
Der 1925 in Westrhauderfehn geborene Weinberg war 1943 im Alter von 18 Jahren deportiert worden. Er überlebte mehrere Konzentrationslager und Todesmärsche. Auch seine Geschwister Dieter und Friedel kamen mit dem Leben davon, während seine Eltern, Alfred und Flora, in Auschwitz umgebracht wurden. Wenige Tage vor Kriegsende 1945 sei Albrecht Weinberg nach Bergen-Belsen transportiert worden – in einem Zustand, den er selbst als „mehr tot als lebendig“ beschrieb, sagte Bruno Schachner in seiner Laudatio, die er im Namen des Rates hielt.
Zwei Jahre nach seiner Befreiung ging Weinberg gemeinsam mit Schwester Friedel nach New York, denn auch nach Kriegsende sei er in Deutschland „genauso wenig gewollt gewesen wie in der Nazizeit“. In Amerika arbeitete er zunächst als Laufbursche und später als Fleischer. Fast 40 Jahre lang habe er keinen Fuß mehr nach Deutschland setzen wollen, vor allem nicht in seine alte Heimat, sagte Schachner.
Erst 1985 nahm Weinberg eine Einladung der Stadt Leer an, „um jüdische Schicksalsgenossen wiederzusehen“. Es folgten weitere Besuche. Es entstanden Freundschaften. Es reifte der Entschluss, nach Ostfriesland zurückzukehren. Das tat er dann 2012 – und begann speziell vor Schülern „vom Nationalsozialismus, vom Holocaust und von Auschwitz“ zu erzählen. Dabei sei es ihm als Zeitzeuge und Mensch gelungen, den Jugendlichen einen „emotionalen Zugang zu dem Thema“ zu ermöglichen, betonte Schachner. „Wir hoffen, dass seine Erinnerungsarbeit dazu beiträgt, dass die Verharmlosung des Holocaust, Hass und Hetze nicht wieder einen Nährboden in unserer Gesellschaft finden und alle Menschen in unserem Land sicher leben können“, so der Politiker.
Sehr bewegend und emotional war die Verleihung der Ehrenbürgerwürde auch für Bürgermeister Claus-Peter Horst. In seiner Ansprache sagte er: „Normalerweise müsste Albrecht Weinberg Leer hassen, weil dort der Schrecken begann.“ Stattdessen habe er die Kraft, hierher zurückzukommen. Das sei unvorstellbar!
„Dass ich das noch erleben darf…“, sagte ein gerührter Albrecht Weinberg, der bereits Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Rhauderfehn ist. Zudem ist das dortige Gymnasium nach ihm benannt worden. Weinberg äußerte den Wunsch, dass die Stadt Leer auf dem Grundstück der ehemaligen Synagoge, die in der Reichspogromnacht 1938 niedergebrannt worden war, eine angemessene Gedenkstätte entsteht. Es gebe gute Gespräche mit dem privaten Eigentümer der Fläche. Insofern sei er guter Hoffnung, dass das passieren werde, erklärte Claus-Peter Horst.
Albrecht Weinberg war wie gewohnt von Gerda Dänekas begleitet worden. Mit ihr lebt er in Leer in einer kleinen Wohngemeinschaft. Auch Gerda Dänekas gebühre großer Dank, denn ohne ihre Unterstützung wäre das Wirken Weinbergs in dieser Form in den vergangenen Jahren nicht möglich gewesen, hieß es.