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Feste

Martini

Mit Kipp-kapp-kögels kom’n wi an, elk singt, wat he man singen kann. Sünnermartensabend, dat is’n Tied! Dor wor ji’n heel Bült Appels quiet.

Singt wi nich dütsch, dann singt wi platt, so god as’t geiht, elk kann sachs wat. Ok Luther sung, dat’t düchtig klung, as he noch in de Schoole gung.

Uns Lüchtjes brannen heel fell, man Luthers Lücht, dat flammt noch hell. Un is’t ok düster, kolle Tied, ’t schient dör de Lande wie tun siet.

So völes is all unnergahn, man Luthers Wark, dat blifft bestahn! Sünnermartensabend, Sünnermartenssang un de Kipp-kapp-kögels bliew’n noch lang.

Wer in Ostfriesland am 10. November am frühen Abend aus dem Fenster schaut, der wird in der Herbstdämmerung viele kleine Lämpchen in den Straßen tanzen sehen – rote, gelbe, grüne, blaue.

Mancherorts lassen sich außerdem verkleidete Gestalten in der Dunkelheit ausmachen. Ob verkleidet oder nicht, alle Kinder, die an diesem Abend unterwegs sind haben ein Ziel: möglichst viele Süßigkeiten ansammeln. Und deshalb singen sie. Von Tür zu Tür klingt es hoch und tief, gerade und schief – „aus voller Brust heraus“, wie es in einem bekannten Martinilied heißt, singt sich ein jedes Kind durch den Abend. Viele dieser Lieder erzählen von Martin Luther, der auch einst mit seiner Laterne von Tür zu Tür ging, und ehren somit das große Werk des Reformers.

Martini oder im ostfriesischen „Fachjargon“ Sünnermartensabend genannt – das ist der Vorabend des heiligen Sankt Martin.

Aber Moment mal – der heilige Sankt Martin? Im evangelischen Glauben kennt man doch gar keine Heiligen. Ja, das stimmt. Und deshalb ist mit dem heiligen Sankt Martin auch nicht Martin Luther gemeint, sondern ursprünglich Sankt Martin, der Bischof von Tours, dem mit diesem Tag ein Denkmal der katholischen Kirche gesetzt wurde. In protestantischen Gebieten übertrug man diesen Gedenktag seit der Reformation auf Martin Luther. Doch nicht nur die Reformation gab diesem Tag eine neue Bedeutung – die heidnischen Friesen feierten bereits vor der Christianisierung zu dieser Zeit den Einzug des Winters, indem sie den heidnischen Gott „Donar“, den Beschützer der Bauern, des Ackerbaus, des Viehs und des Landes ehrten.

Heute wissen nur noch wenige von den Vorformen ihres Martinifestes.

Die bunte Laterne – ob selbst gebastelt aus Pappmaschee und buntem Transparenzpapier oder gekauft – ersetzt schon seit langem die ausgehöhlte Runkelrübe oder den Kürbis mit selbstgegossener Talgkerze und milde Gaben wie Äpfel und Nüsse können mit Schokolade und Gummibärchen auch nicht mehr mithalten.

Eins ist jedoch geblieben: Heute wie damals geht man zusammen nach draußen, singt Lieder und hat Spaß und leitet somit die kalte Zeit des Jahres ein, in der man gerne drinnen zusammensitzt, besinnlich im Kerzenschein. Und man legt sich einen Vorrat an – damals war es die gerade eingeholte Ernte, heute sind es Berge von Süßigkeiten.
Und ob das nun gesund ist oder nicht - wie sonst sollte man die dürre Zeit bis Weihnachten überbrücken?

Quellen:
W. Lüpkes, Ostfriesische Volkskunde, Emden 1925, Seite 174.
H. Hangen (Herausgeber), Volkskunde und Brauchtum in Ostfriesland. Ergebnisse der Arbeitsgruppe Volkskunde und Brauchtum der Ostfriesischen Landschaft aufgezeichnet von Ingrid Buck, Aurich 1988, Seite 47ff.
M. Hensmann, Kipp-Kapp-Kögel, in: Ostfriesland Journal Nr. 11/1990, Seite 52 – 55.